COVID-19: Wie ''exponentiell'' ist das Wachstum wirklich?

  • 18.01.2021
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Die Exponentialfunktion ist ein super Erklärmodell - taugt aber nicht für die tatsächliche Prognose der Pandemie

Eine der vielen Herausforderung in der aktuellen COVID-19 Epidemie ist es, die Glaubwürdigkeit der verwendeten Simulationsmodelle zu erläutern. Da diese Modelle hochkomplexe Computerprogramme sind, ist dies naturgemäß alles andere als einfach. Daher werden hierzu regelmäßig diverse, im Ansatz oft sehr einfache, Modelle - unter Modellierern auch Metamodelle genannt - verwendet. Die bilden gewisse Mechanismen und Dynamiken des Realsystems perfekt ab und sind damit ideal zur Kommunikation von Effekten geeignet. Leider werden solche Modelle oft missinterpretiert und fälschlicherweise zur Prognoserechnung herangezogen.

Die Exponentialfunktion ist ein großartiges Beispiel für so ein Metamodell, da sie perfekt die grundlegende Ausbreitungsdynamik einer Epidemie charakterisiert. Hierzu wird sie seit Epidemiebeginn im Frühjahr auch gerne verwendet, jedoch leider mindestens ebenso gerne missverstanden: “Man hätte es kommen sehen müssen”, sagten sich viele Forscher im November 2020 als man auf einen exponentiellen Trend der Fallzahlen seit Sommer aufmerksam wurde. Tatsächlich, der exponentielle Trend war gut sichtbar und evident, aber hätte man die Explosion der Fallzahlen im Oktober wirklich mit einer Exponentialkurve vorhersagen können?

Das untenstehende Video zeigt ein Exponentialmodel (blaue Kurve), welches hier fälschlicherweise zur Langzeitprognose verwendet wird. Das Modell wird, Tag für Tag, mit den jeweils zur Verfügung stehenden, “neuen” Tagesdaten gefüttert (rote Linie). Zum Vergleich ist der tatsächliche Epidemieverlauf (schwarze Kurve) abgebildet.

Video: Es ist klar erkennbar, dass die Exponentialfunktion nicht zur Prognose der Epidemie verwendet werden kann.

Man sieht, eine Exponentialfunktion alleine hätte es nicht geschafft plausible Fallzahlen vorherzusagen. Der Trend im Oktober ist klar anders als jener im Sommer. Aber: Es ist zweifelhaft ob es überhaupt irgendein Modell geschafft hätte, diesen Trend so frühzeitig vorherzusagen. Man stößt hier an die Grenzen von Prognoserechnungen (siehe Anmerkung unten).

Hinweis:

Dieses Beispiel zur Veranschaulichung der Exponentialfunktion als Epidemiesimulation wurde bereits im November 2020 gerechnet. Aufgrund der Aktualität wurde es am 18.1.2021 hier mit einer ausfühlichen Einordnung (wieder) veröffentlicht.


Anmerkung:

Ein einfaches Exponentialmodell ist zwar als anschauliches Beispiel zur Erklärung der Ausbreitungsdynamik von Epidemien dienlich, zur Erstellung echter Prognosen braucht es jedoch komplexere dynamische Modelle. Diese Verfügen über Mechanismen, die es gestatten auch komplexere Dynamiken abzubilden. Dennoch gilt: auch das beste komplexe Modell ist für die Prognose von Fallzahlen stark an gewisse Randbedingungen gebunden. Beispielsweise sind menschliches Verhalten und zukünftige Maßnahmen quasi nicht vorhersagbar. Somit sind, ähnlich der Wettervorhersage, ein bis maximal zwei Wochen zumeist das Limit dafür, was plausibel vorhersagbar ist.