Simulationsstudie in drei Teilen – bessere Analyse und Planbarkeit des Versorgungsbedarfs von Flüchtlingen aus der Ukraine

  • 16.09.2022
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Simulationsstudie in drei Teilen – bessere Analyse und Planbarkeit des Versorgungsbedarfs von Flüchtlingen aus der Ukraine

Der russische Krieg in der Ukraine dauert inzwischen bereits mehr als ein halbes Jahr und ist der Auslöser für eine der größten Fluchtbewegungen in Europa seit dem zweiten Weltkrieg. Laut United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) sind seither 7 Millionen Menschen aus der Ukraine in die EU alleine geflohen. Dazu kommen, laut IOM, weitere 7 Millionen Binnenflüchtlinge (IDPs innerhalb der Ukraine).

Medial war das Thema im Frühling stark im Fokus, wurde jetzt aber durch andere Themen bzw. den Fokus auf die politischen und wirtschaftlichen Effekte des Krieges teilweise verdrängt. Jetzt im Herbst könnte es zu neuen und stärkeren Herausforderungen kommen. Im Rahmen des Projektes wurden zwischen März und Juni 2022 grundsätzliche Möglichkeiten und Limitierungen einer Simulation der Fluchtprozesse und notwendiger Entscheidungen analysiert. Diese werden in Forschung und Lehre eingesetzt.

Es liegt auf der Hand, dass die Versorgung so vieler Menschen (auch) eine logistische Herausforderung auf vielen Ebenen darstellt. Dazu zählen etwa die Versorgung akuter und chronischer medizinischer Bedürfnisse, die Erstversorgung (Unterkunft, Hygieneartikel, Kleidung, Nahrung, …) sowie die weitere Versorgung und Integration (Wohnen, Kindergarten/Schule, Arbeitsplätze, Sprachkurse, …) der Menschen. Das gilt global gesehen für Binnenflüchtlinge in der Ukraine, Menschen auf der Flucht sowie Menschen, die in Österreich ankommen. Um gemeinsame Lösungen zu finden sind neben der Anzahl an Hilfsbedürftigen, folgende Aspekte wichtig:

  1. es ist unsicher wann und wo Menschen auf der Flucht sind und wie viele der vertriebenen Menschen in Österreich ankommen werden,
  2. es ist unklar welche Gruppen welche konkreten Bedürfnisse haben, und
  3. ideal wäre eine frühzeitige Planung, wie die Versorgung dezentral, nach Maßgabe der vorhandenen Ressourcen, erfolgen kann.

Gerade in den ersten Wochen und Monaten des Krieges erschwerten viele Unsicherheiten zur aktuellen und weiteren Entwicklung, aber auch die mangelnde Datenlage die Hilfeleistungen. Um die Versorgung und die dafür notwendigen Ressourcen in Zukunft besser koordinieren zu können, wandte sich die Stabsstelle Ukraine-Flüchtlingskoordination im Bundeskanzleramt an die dwh GmbH und die Data Science Unit (seit 1.9.2022) an der TU Wien. Gemeinsam wurde auf Basis der Arbeiten von dexhelpp die Problemstellung analysiert und der „Proof of Concept“ eines Modells entwickelt, um die genannten Punkte besser zu verstehen und zu analysieren, inwiefern Simulation dabei helfen kann effiziente Versorgung zu gewährleisten. Die Analysen und der „Proof of Concept“ wurde in drei Teilbereichen umgesetzt, um vorhandene Informationen und Strukturwissen optimal integrieren zu können.

Situation in der Ukraine: es wurde begonnen systematisch die aktuelle Situation in der Ukraine abzubilden und eine Modellstruktur für mögliche Szenarien für die nahe Zukunft umzusetzen. Dabei ging es vor allem darum die minimale bzw. maximale Anzahl an flüchtenden Menschen, sowie Einschätzungen zu deren Alter, regionaler Verteilung, deren Gesundheitszustand und weiteren Bedürfnissen zu gewinnen. Diese Analysen basieren auf bestehenden Arbeiten zur Analyse und Modellintegration sozio-demographischer Daten und Gesundheitsparameter in Simulationsmodelle, wie wir sie z.B. für Österreich oder im Rahmen von EU-Projekten umsetzen. Es wurden unterschiedliche Datenquellen z.B. UNHCR, IOM (Ukraine internal Displacement Reports) evaluiert, Szenarien zum weiteren Kriegsverlauf, die durch das BKA zur Verfügung gestellt wurden, integriert und andere Stakeholder Sichtweisen integriert.

Modellierung der Fluchtdynamik ein dynamisches Gravitationsmodells mit Push- und Pull-Faktoren sollte es ermöglichen verschiedene Fluchtwege und Transfers je nach Einschätzung der ExpertInnen abzubilden und die Gesamtzahl und Struktur der nach Österreich flüchtenden Menschen, sowie zeitlichen Ablauf für verschiedene Szenarien abzuschätzen. Solche Modelle sollen es ermöglichen Strategien zu diskutieren, wie man den Menschen auf ihrem Weg in sichere Gebiete Unterstützung und Hilfe anbieten kann bzw. wo humanitäre Herausforderungen entstehen könnten. Die Analyse basiert auf entsprechender Literatur zu Gravitationsmodellen sowie eigenen Vorarbeiten zu Migrationsmodellierung. Die Push- und Pullfaktoren sind immer mit ForscherInnen aus den Sozialwissenschaften, Demographie etc. zu entwickeln.

Gravitationsmodell

Die Analyse regionaler Prozesse in Österreich diente dazu abzuschätzen, inwiefern Modellierung die Koordination der Hilfe in Österreich unterstützen kann. Es wurden Möglichkeiten entwickelt um verschiedene Szenarien mit den diversen Stakeholdern abbilden zu können, um bei der Strategieentwicklung in Zukunft unterstützen zu können. Dabei geht es oft um Fragen bestehender Ressourcen, der Möglichkeit Ressourcen kurz- oder mittelfristig auszubauen und welche Ungleichheiten regional oder bezüglich anderer Aspekte entstehen können. Die Arbeit basiert auf bestehenden Projekten im Bereich der Ressourcen Allokation auf Simulationsbasis, wie sie etwa im Bereich Gesundheit oder Logistik von uns umgesetzt werden.

regionale Prozesse

Für die Implementierung wurde eine Daten- und Literaturrecherche durchgeführt, die sich in den Modellierungsansätzen, der dreiteiligen Struktur und dem Modellaufbau widerspiegelt. Mit dem resultierenden „Proof of Concept“ wurde eine Möglichkeit geschaffen, die aktuelle Situation bzw. definierte Szenarien und deren modellierte Auswirkungen auf einer interaktiven Karte von der lokalen (Binnenflüchtlinge der Ukraine bzw. Versorgungsregionen in Österreich) bis zur internationalen Ebene (Europa) abzubilden. Dabei werden reale sowie mögliche künftige Menschenströme bzw. Absolutzahlen dargestellt. Auf Ebene der österreichischen Versorgungsregionen können methodisch die modellierten Szenarien bezüglich der Verteilung und resultierender Ressourcennutzung dargestellt werden. Die Arbeiten wurden im Rahmen der grundlegenden Forschung im Bereich Simulationstechnik an der TU Wien und in der dwh GmbH umgesetzt. Es sind darüber hinaus keine Kosten für BKA oder andere Stellen entstanden.

Ein konkreter Einsatz im Bereich der Flüchtlingsplanung ist derzeit nicht geplant, da die notwendigen Eingangsdaten und Parameter von Seiten der entsprechenden Stellen nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung stehen. Gründe sind u.a. Erhebungsprobleme, technische Limitierungen oder Geheimhaltungsgründe. Das Modell wird im Rahmen der Forschungstätigkeit weiterentwickelt, speziell in Bezug auf die Frage der Abbildung sozialer Aspekte und politischer Szenarien. Darüber hinaus werden die Ergebnisse in der Lehre an der TU Wien (Modellbildung & Simulation) eingesetzt.


Anmerkung

Das Tool versteht sich als Arbeitsunterstützung mit der Möglichkeit verschiedene Annahmen und Szenarien und deren Auswirkungen transparent (durch klare Dokumentation und Kommunikation der angenommenen Parameter und Szenarien) für den Diskurs abzubilden. In der zukünftigen Entwicklung steht deshalb speziell die Nutzung zur interdisziplinären Daten- und Hyopthesenanalyse im Vordergrund. Dabei ist eine Zusammenarbeit zwischen Demographie, Politologie, Soziologie, Health System Research u.v.m. notwendig.Die Arbeit stellt kein Prognosetool dar.